Einst war Deutsch die internationale
Wissenschaftssprache Nr. 1 - heute geht es um mehr Sprach
vielfalt auf einem Englisch
sprechenden Globus. Von Claudia Keller
Leonardo di Caprio spricht's, Sandra Bullock lernt's, und Michael Douglas hat seine erste
Liebeserklärung auf Deutsch
gemacht. Auch die Präsidententochter Chelsea Clinton ist eine der rund 18 Millionen Deutschschüler in aller Welt. Um die
deutsche Sprache muss man sich also nicht
sorgen. Oder doch? 18 Millionen - sind das viele?
"Weltweit
sinkt das Interesse an der deutschen Sprache, die Tendenz geht hin zu Englisch",
klagt Martina Müller,
Leiterin der Arbeitsgruppe Bildungsmedien bei
Inter Nationes. Diese
trübe Perspektive teilen auch die deutschen
Botschaften. Selbst in Osteuropa
ebbt der Deutsch-Boom seit einigen Jahren
ab. Und auf der Weltrangliste der Sprachen
steht das Deutsche mit zirka 100 Millionen Muttersprachlern erst an elfter Stelle.
Die ersten Plätze
belegen Englisch, Spanisch, Russisch, gefolgt von Hindi, Indonesisch und Arabisch. Von den international
bedeutsamen Sprachen
schneidet,
überraschenderweise, nur die französische noch schlechter
ab. Wie viele Menschen Deutsch
als Fremdsprache sprechen, lässt sich nicht
eindeutig klären. "Sicher wird Deutsch hierbei von Englisch und auch von
Französisch
übertroffen", befindet der Duisburger Sprachforscher Ulrich Ammon. Und er ist nicht irgendwer.
Die Erkenntnisse des Spezialisten für Soziolinguistik liegen
immerhin der Arbeit des Goethe-Instituts zu Grunde, dem
wichtigsten
Hüter und
Förderer des deutschen Wortschatzes im Ausland.
Die
Mächtigen sprechen deutsch. Auf Anfrage des Tagesspiegel, wie es um das
Ansehen und die
Verbreitung der deutschen
Sprache bestellt sei,
schallte von den Goethe-Instituten selbstzufrieden die
Kunde zurück, dass die Mächtigen dieser Welt
immer noch Deutsch
beherrschten, seien es nun der russische oder der uruguayische Präsident, japanische Intellektuelle
oder französische
Führungskräfte.
Das Goethe-Institut in Damaskus meldet gar, dass schon die Frage nach der heutigen Bedeutung des Deutschen "typisch
deutsch" sei - und
von Dummheit und Weltfremdheit
zeuge. Denn schliesslich hatten in den letzten vierzig Jahren über
1000 Syrerinnen und Syrer in Deutschland studiert und würden heute durchweg
leitende Positionen einnehmen. Und bei
Japanern
stösst es auf Unverständnis, wenn deutsche Repräsentanten sich auf Englisch
abmühen,
statt den
Deutschkundigen
die
Reverenz zu erweisen, mit ihnen
unverkrampft deutsch zu sprechen. "Trotzdem besteht die
Neigung, sich die
Zukunft des Deutschen in der Welt allzu
rosig auszumalen", meint Ulrich Ammon. Dies gelte besonders fur die
Deutschlehrer.
Fest steht, dass sich jährlich rund 150 000 Wissenshungrige im Ausland und 23 000 im Inland beim Goethe-Institut den
Wonnen und
Strapazen deutscher Grammatik
unterziehen: Die
treuesten Schüler finden sich dabei auf der iberischen
Halbinsel, in der östlichen
Mittelmeerregion, in Ostasien und Lateinamerika. Offizielle Statistiken
lassen allerdings
keine eindeutigen
Schlüsse zu.
So wäre es falsch, aus der Tatsache, dass in den USA nur noch zwei Goethe-Institute (San Francisco und New York)
Sprachkurse anbieten, zu
schliessen, dass in Amerika
kein Hahn mehr auf Deutsch
kräht. Denn
trotz des Desinteresses der
Amerikaner an Deutsch und an Fremdsprachen überhaupt, gibt es in den USA immer noch
eifrige Deutschschüler. Nur eben kaum
noch bei Goethe.
Das Institut in Los Angeles zum Beispiel
überlässt den Deutschunterricht der
benachbarten University of California oder
Sprachschulen wie Berlitz. Das
Auswärtige Amt schreibt neuerdings vor, dass dort, wo
private Anbieter die
Nachfrage nach
Deutsch
decken, das Goethe-Institut sich schon aus
Kostengründen zurückziehen oder
allenfalls noch zusammen mit
ausländischen Partnern Deutschunterricht anbieten solle.
Zum Bedauern von Ute Kirchhelle, die das Goethe-Institut in Los Angeles leitet. In
jüngster Zeit nämlich gewinne Deutsch
gerade unter asiatischen Studenten neue
Anhänger, die über Deutschland in ost-westliche
Handelsbeziehungen einsteigen
wollen.
Auch die Mengen an Unterrichtsmaterialien, die Inter Nationes in alle Welt
streut, geben keine klare
Auskunft über die
Verbreitung deutscher Laute im Ausland. Denn trotz eines weltweiten Rückgangs an Deutschlektionen wird mehr Lernmaterial
denn je bestellt, besonders in den Nachbarländern Frankreich, Polen, Tschechien und Russland. "Nicht trotz, sondern
weil", erklärt Martina Müller:
"Der Rückgang
zwingt die schrumpfende Schar der Deutschlehrer dazu, ihren Unterricht umso attraktiver zu
gestalten."
In San Francisco hat man
unterdessen an über zwanzig Highschools
Soccer-
Mannschaften gegründet. Dem
Siegerteam winkt ein
dreiwöchiger
Aufenthalt in Stuttgart. "Pädagogische
Verbindungsarbeit" nennt man das bei Goethe. Und was nach
Fussball-Promotion aussieht, dient tatsächlich der Land
gewinnung fur die deutsche Sprache: Voraussetzung am
Wettbewerb
ist
die Teilnahme am Deutschunterricht.
Derrick auf koreanisch. Wenn
sich die Methode herumspricht,
werden vielleicht auch die German Departments der
amerikanischen Universitäten ihre
Nachwuchssorgen los. Auf der
Suche nach
effizienten Werbestrategien fur deutsche
Idiome fragen sich manche, ob nicht auch die Segnungen des deutschen Fernsehens das ihre dazu
beitragen könnten.
"Derrick" war einst ein Hit - von Italien bis Korea,
freilich synchronisiert. Aber in welchem amerikanischen
Hotel konnte man uberhaupt einen "
Tatort"
empfangen?
Lange ist es her, seit Deutsch
weltweit als die Wissenschaftssprache Nr. 1 galt, und als es in einer
globalen Elite noch
schick war, deutsche Klassiker im Original zu lesen.
Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts die wissenschaftlichen
Leistungen für viele der
Anlass waren, Deutsch zu lernen, publizieren Wissenschaftler, die eine internationale Karriere
anstreben, ihre Arbeiten heute
fast ausschliesslich in Englisch. An der Technischen Universität Hongkong hat man dem
DAAD-Lektor auf die Frage, warum kein
eigenständiges Fach Deutsch
eingerichtet werde, die
höfliche Gegenfrage gestellt,
ob die deutschsprachigen Länder denn heute überhaupt noch
Wesentliches zur
Entwicklung von Wissenschaft und Technologie
beitrügen.
Andererseits kommen Ausländer zum Studium
weiterhin nach Deutschland: aus Asien, Afrika und Amerika, sehr
viele aus Mittel- und Osteuropa - die wenigsten
allerdings wegen der deutschen Sprache.
Eine
Ausnahme: Sanin Hasibovic aus Sarajevo, Bosnien-Hezegowina. Seit 1996 studiert er an der Freien Universität Berlin.
Seine Augen
glänzen, wenn er die
gewaltige Horizont
erweiterung beschreibt, die ihm der deutsche
Wortschatz beschert:
"Sie müssen verstehen, wenn man eine Sprache wie das Serbokroatische spricht, die nur 150 000 bis 200 000 Worte hat,
dann ist die
Erfahrung, eine Weltsprache zu lernen mit 500 000 Worten,
überwältigend." Ob
diejenigen, die Deutsch
primär als
Wirtschaftssprache lernen -
immerhin 80 Prozent der Klientel der Goethe-Institute - Hasibovics Euphorie
teilen?
Gefragt sind "Super-Intensivkurse", in denen man
binnen weniger Wochen das
angeblich Wichtigste über Deutschland,
die Deutschen und ihr Deutsch im Kopf hat. Die Funktion als Wirtschaftssprache
scheint mehr und mehr die einzige
Bedeutung zu
markieren, die Deutsch im internationalen
Verkehr noch hat.
Als
Amtssprache
rangiert sie weltweit
auf Platz 6. Sie ist zwar eine der elf
Arbeitssprachen der
EU,
doch in der
täglichen Arbeit
hört man kaum ein deutsches Wort. "Wir sollten,
statt in einen
fruchtlosen Wettbewerb mit der
lingua franca Englisch
einzutreten, unsere Ressourcen besser in die
Stärkung des Deutschen als zweiter Fremdsprache
investieren",
betonte Joschka Fischer in einer
Rede zur "
Zukunft der
Auswärtigen Kulturpolitik".
In der
Dreisprachigkeit der Europäer
wittern auch Sprach
forscher die einzige
nennenswerte Überlebenschance für das
deutsche Idiom. "Diese
Mehrsprachigkeit gilt es deshalb zu
fördern -
über die nationalsprachliche Konkurrenz
hinweg", betont Joachim Sartorius, Generalsekretär des Goethe-Instituts. Denn die Konkurrenz
kommeungewollt nur
der Monopol
stellung des Englischen als
alleiniger Fremdsprache
zugute
Die Förderung der Mehrsprachigkeit in Europa "
verlangt aber auch ein klares
Bekenntnis zu einer Sprachenpolitik in
Deutschland, die sich nicht damit
begnügt, Sprachen wie Spanisch und Italienisch als Exoten zu
behandeln und
bestenfalls
als
Wahlfächer anzubieten",
fordert Sartorius. Die Förderung von Deutsch im Ausland muss sich an ihrem
Pendant der
Förderung der Fremdsprachen in Deutschland
messen lassen.
2000 © Tagesspiegel Online Dienste Verlag GmbH